Ein zwielichtiges Vergnügen
von Anna-Lena Oldenburg (11. Mai 2015)
© Andrea Kremper
Meist bereut man es, wenn man in einer Kritik mit Superlativen um sich geworfen hat, wie eine Kreuzberger Kneipentour am nächsten Morgen. Was das Landestheater Coburg aber mit Fabian am 08. Mai im Rahmen der Bayerischen Theatertage auf die Bühne gebracht hat, lässt sich durchaus als kongenial bezeichnen: Aus einem chaotischen Himmel und Meer an Stühlen und Zeitungen entsteht ein vielschichtiges Portrait von Berlin kurz vor Hitlers Machtergreifung, umgesetzt mit einem multifunktionalen Bühnenbild, einer hohen Dynamik und Sinnlichkeit, ausgezeichneter, zum Teil grotesker Kostümierung und hervorragenden Schauspielleistungen, wo in dreifach, fünffach, sechsfach gespielten Rollen von sieben Schauspielern ein ganzes Arsenal eigenständiger Figuren aufersteht. Gepaart mit Kästners immer noch erstaunlich zeitgemäßem Text ergibt sich ein Theaterereignis, das seinesgleichen sucht. Schade nur, dass zumindest in Coburg selbst das Stück nur bis Ende März zu sehen war.
Dr. Jakob Fabian ist promovierter Germanist und verschwendet in Berlin seine Talente in der Werbeabteilung eines Zigarettenherstellers, zusammen mit seinem inkompetenten Kollegen Fischer, der schlechte Werbesprüche dichtet und seinem abscheulichen Chef, der ihn schlussendlich vor die Tür setzen wird. Von der Sinnlosigkeit seines Lebens niedergeschlagen, zieht er durch das Berliner Nachtleben und kommt dort mit der Unterseite der Stadt in Berührung: Frauen, die ihren Körper verkaufen, nachdem sie ihre Anstellung in der Fabrik verloren haben, ein genialer Erfinder, der sich erschaudert zurückzieht, nachdem er mit ansehen musste, welche ungewollten Triebe die zunehmende Technologisierung geschlagen hat, die allgemeine Lieblosigkeit in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Es wird sich viel ausgezogen, viel gefeiert, die Gesellschaft ist manisch darum bemüht, Wahrheiten nicht ins Auge sehen zu müssen. Dazwischen bewegen sich Fabian und sein bester Freund Labude, die beide schlussendlich dazu verdammt sind, an der Welt zu scheitern.
Wünsch Dir was!
von Johann Pfeiffer (09. Mai 2015)
© Werner Lorenz
Das Theater im Gärtnerviertel (TiG) zeigt Multiple Choice im Rahmen der Bayerischen Theatertage 2015, die zurzeit im E.T.A-Hoffmann-Theater Bamberg stattfinden. Das Ensemble-Stück bietet ein facettenreiches „Wunschkonzert“ mit vielen Möglichkeiten und offenen Fragen.
Jeder von uns hat sich bestimmt einmal die Frage gestellt: Was wäre wenn? Spätestens am Ende des Studiums kommt man ins Grübeln über die ungewisse Zukunft und die Entscheidungen der Vergangenheit, die sich in den meisten Fällen nur noch schwer ändern lassen. Habe ich mich für das richtige Studienfach entschieden? Hätte ich vielleicht doch auf eine (vermeintlich) sichere Karte setzen müssen wie Lehramt oder BWL? Wie würde mein jetziges Lebens aussehen, wenn ich noch mit meiner Ex-Freundin zusammen wäre? Oder könnte ich mit einer ganz anderen Frau glücklicher sein? Die Braunhaarige aus der Sachbuch-Lektorat-Übung am Donnerstag lächelt mich immer so nett an…
Der Gipfel vom Matterhorn – Bärfuss und die Bergpredigt
von Veronika Biederer (05. Mai 2015)
Kompakter Lesestoff liegt nun vor mir. Der Umschlag in ein zartes Meeresblau getaucht. Darauf abgebildet eine erhabene Engelsfigur, ein Ausschnitt aus Tizians Verkündigung an Maria. Sein Blick ist trüb, gar hypnotisiert. Ein freudiges Ereignis zu überbringen ausgesandt, erscheint er dennoch unter düsteren Schwingen, das Unheil wissend, das den Ungeborenen ereilen soll. Plakative Lettern sagen mir aber, dass es hier nun nicht mehr um die Verkündungen für eine heile Welt gehen soll. Im Mittelpunkt des nun erschienen Essaybandes vom aktuellen Bamberger Poetikdozenten, dem Schweizer Dramatiker, Dramaturg und Romancier Lukas Bärfuss, steht die Frage nach Stil, mehr aber noch die Diskussion um Moral.
In Bärfuss‘ Gedankenwelt einzutauchen ist wie in einen Strom zu springen, der einen mitreißt, von dem man aber nicht weiß, wohin er ihn überhaupt trägt. Am Ende will man aber dennoch freiwillig springen. Wenn man dann nach jedem Wort gründelt, um dann auf einen Ausdruck zu treffen, den man so genial findet, dass man vor Überraschung einen Mund voll Süßwasser bekommt, macht das ebenso süchtig wie das bloße dahingleiten in den literarischen Exkursen, wie über Robert Walsers Räuber-Roman oder Dürrenmatts Das Versprechen.
In seinem Essay über Anton Tschechows Drei Schwestern beschreibt er seine akribische Vorbereitung auf eine aufwändige Inszenierung, die lange Anreise, die teure Unterkunft, die aufmerksame Lektüre, die detailreiche Auseinandersetzung mit der Dramaturgie und wie ihm eine ganz grazile Knoblauchpest alle Mühe zunichtemacht. Und in solchen Momenten fragt man sich ebenso wie der Autor, „welche subtile Perversion bringt einen Menschen dazu (…)“? (Stil und Moral, S. 50)
Traumreise der Möglichkeiten
von Felix Gerhard (14. April 2015)
© Thomas Bachmann
Endlich, will man sagen, wird der Buch- und Theatererfolg Tschick auch im ETA-Hoffmann-Theater in Bamberg aufgeführt. Vergangenen Sonntag war es soweit. Eine Traumreise durch das Leben der Jugend, oder zumindest ihrer Möglichkeiten, ist ja auch egal, Hauptsache, man hat seinen Spaß.
Manche Geschichten erzählen sich wie von alleine. Tschick ist so eine, diese rasante Geschichte um Maik Klingenberg und seinen Freund Tschick, die in den Sommerferien ein Auto ›ausleihen‹, um damit in die Walachei zu fahren und unterwegs nicht nur seltsame Typen, sondern auch das Leben und die Freundschaft kennenlernen, womit die beiden gleich ein Stück Kindheit hinter sich lassen. Es dürfte kaum jemanden geben, der von Wolfgang Herrndorfs Roman nicht schon zumindest etwas gehört hat. Und auf den Bühnen der Republik hat es sich in den letzten Jahren zu den meistgespielten Stücken etabliert, bevor es endlich auch im ETA-Hoffmann-Theater inszeniert wurde.